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20. Amors Pfeil

 

So wundersam und lebensrettend knapp der KJG-Pfeil an Marlenes Herz vorbei geschossen war, so zielsicher traf Amors Pfeil mitten hinein in ihr und Tristan junges unschuldiges Herz. Dieser Treffer hatte schicksalhafte Folgen, wie wir noch sehen werden.

 

Erwähnenswert an dieser Stelle, dass die beiden alten Streithähne Dagobert und Fridolin, mit letzterem am Steuer, gemeinsam die Fahrt ins Klinikum Bayreuth angetreten hatten. Marlenes schnelle Rekonvaleszenz im Auge, hatten sie ihre persönlichen Differenzen hintan gestellt.

 

 Ein gutes Drittel der Strecke war die Unterhaltung im Auto recht wortkarg gewesen. Das zweite Drittel brachte lange in Vergessenheit geglaubte Rasenaktivitäten wieder ans Tageslicht. Als am Ende des dritten Drittels das Navi verkündete „Sie haben ihr Ziel erreicht“, war man sich einig, dass dieses erreichte Ziel nicht nur das Ende der Strecke ins Klinikum Bayreuth war, sondern auch das Ende der schon so lange bestehenden Eiszeit einläuten könnte.

 

Dagobert und Fridolin nahmen sich vor, ganz schnell nach Marlenes endgültiger Genesung eine Rasen-Sondersitzung unter Teilnahme von Veronika und Friederike einzuberufen. Das Treffen auf den beiden Rasenflächen wurde in zwei Sitzungen durchgeführt, die erste Sitzung auf Klamms Rasen und die zweite Sitzung auf Piesepampels Rasen. Das am Ende erzielte gemeinsame Ergebnis ging als die sogenannte „Plopp-Lösung“ in die Geschichte dieses jahrelangen und letztendlich völlig unnötigen Rasenkrieges ein.

 

Nach den tragischen Ereignissen auf den Hügeln von Bayreuth waren Tristan und Marlene unzertrennlich. Für sich hatten sie schon bald beschlossen, dass ein Zusammenleben eine große Option für ihre Zukunft war. Gleichzeitig waren sie aber so vernünftig zu entscheiden, dass sie mit der Gründung eines eigenen Hausstands  bis zum Abschluss ihrer Ausbildung warten wollten.

 

Marlene beendete ihre Lehre als Floristin im Blumenladen von Rose Zweig mit Bravur. Nach der bestandenen Prüfung wurde sie bald Rose Zweigs beste Kraft. Für Blumen hatte sie von Kindesbeinen an immer schon ein feines Händchen gehabt. Tristan bekam nach seiner Ausbildung zum Brauer eine feste Anstellung in der Privatbrauerei von Karl-Otto Durstig. Dort wurde ihm schon bald die Verantwortung dafür übertragen, dass der „Sonderlinger Edelhopfen“ die Hauptmarke von Karl-Otto Durstigs Brauerei, ihre in Jahrhunderten herangereifte Qualität behielt.

 

Solcherart auf festem finanziellen Grund stehend, wurde zielstrebig die offizielle Legitimation ihrer Beziehung in Angriff genommen. Nachdem die Nachwirkung der Ereignisse von Bayreuth die beiden jahrelang verfeindeten Familien wieder zusammengeführt hatte, bot sich für Tristan und Marlene ein Nestbau auf dem ehemaligen verfeindeten Terrain an. Vom Platz her gesehen, bot sich Piesepampels Haus einfach an. Erforderliche Umbauarbeiten wurden eingeleitet und durchgeführt und das fertig gebaute Nest feuchtfröhlich eingeweiht.

 

Die beiden früheren Hochzeiten waren, wie wir uns erinnern, in größerem Ambiente gefeiert worden. Waldemar und Roswitha hatten bekanntlich das zweisprachige „Ja“ in der „Iglesia Nuestra Señora de la Encarnación“ in Marbella gesprochen, während Isolde und Lee Marvin Meadow wie die gekrönten Häupter in der Westminster Abbey vom Dean of Westminster unter großem Orgelgetöse zusammengeführt worden waren. Die Hochzeit von Tristan und Marlene verlief, verglichen mit den  Festivitäten ihrer Geschwister, weniger spektakulär, aber auch auf wichtigem historischem Grund und sehr feierlich.

 

Eingeladen wurde, mit schön geschriebenen Worten auf kostbarem Büttenpapier, für den „Dominica corporis Christi“, den Sonntag nach Fronleichnam, nach Kloster Brunnen, einer ehemaligen Einsiedelei, die von 1705 bis 1834 ein Kapuzinerkloster beherbergt hatte. Einer Sage nach soll durch das Wasser der dortigen Heilquelle (fons medicinalis) ein Wunder geschehen sein. Die Heilquelle beherbergte eine Eremitenhöhle. Der erste Eremit war im Jahr 1705 ein Johannes Fölling aus Werl, Mitglied im 3. Orden(Tertiarier) des Kapuzinerordens. Im Jahr 1721 bauen Einwohner aus den umliegenden Dörfern Endorf, Bönkhausen, Brenschede und Recklinghausen das älteste Badehaus des Sauerlandes für Gäste „beiderlei Geschlechtes“. 

 

Bei der Kirche, in der sich Tristan und Marlene das Ja-Wort gaben, handelte es sich um eine eher schlichte Saalkirche, mit dem heiligen Antonius von Padua als Schutzpatron. Die Kirche wurde in den Jahren 1742-1748 von einem Baumeister aus Augsburg erbaut und 1748 von Prälat Adrianus Höynck, dem Abt des Praemonstratenser-Klosters Wedinghausen eingeweiht.

 

Im Mittelpunkt der Kirche steht ein sehr schöner Hochaltar mit einem prächtigen Altarbild. Für eine Stiftung von 250 Reichsthaler ehrte man den Kölner Kurfürst und Erzbischof Clemens August (1700-1768) dadurch, dass sein  Wappen mit in das Altarbild aufgenommen wurde. Erbauer des Hochaltars war Johann Conrad Schlaun (1695-1773), der zu den bedeutendsten Architekten des deutschen Barocks gehört. Außerdem wird ihm auf Gemälden und Gedenkplaketten bescheinigt, eine besonders prägnante Nase und damit den richtigen Riecher für die Vergabe der  fürstlichen Baumaßnahmen in seiner Zeit gehabt zu haben.

 

Die Trauung wurde musikalisch begleitet von Orgelklängen, die der Organist gekonnt der  bemerkenswerten historischen Orgel der Antonius-Kirche, erbaut von Johann Georg Fromme (1738-1816) im Jahre 1801, entlockte. Wahre Klangkaskaden ergossen sich aus den 10 Registern mit 702 Pfeifen über die aus England und Spanien angereiste Verwandtschaft und weitere Verwandte und Bekannte. Der Kammerchor „Collegium musicum vocale“, weit über die Grenzen von Kloster Brunnen hinaus bekannt und beliebt, brachte zwei wunderschöne Hochzeits-Madrigale von Orlando di Lasso zu Gehör.

 

Als das Paar unter den Klängen der Fromme-Orgel aus der Kirche heraustrat, erstrahlte vor ihren Augen auf dem Vorplatz ein wunderbarer Blumenteppich, den Rose Zweig und zwei ihrer Floristinnen während der Zeremonie so liebevoll wie gekonnt für sie arrangiert hatte.

 

Natürlich dominierte in dem Blumenteppich die Farbe grün in Form von frischem Grünschnitt. Dafür war der Kirchenküster extra am Morgen auf dem Kirchrasen aktiv geworden. Praktisch in das Grün hinein gewoben hatten Rose Zweig und ihre Helferinnen all die Farben, die in dieser Jahreszeit in der  Flora vorherrschten. Weiße Margueriten konkurrierten mit roten Mohnblumen. Ginster und Rapsblüten konnten für gelbe Farbtupfer verwendet werden. Kornblumen brachten die Farbe blau ins Bild. Große weiße Schneebälle dienten als seitliche Begrenzungen. Lupinen, Farn, Pfingstrosen und Flieder kamen zum Einsatz.

 

Aus all diesen und weiteren Blumen- und Blütenvarianten hatte Rose Zweig ein wunderschönes Bild auf das satte Grün vom morgens geschnittenen Klosterrasen gezaubert. Abgebildet war ein junges Paar, mit ein wenig Vorstellungskraft als Marlene und Tristan zu erkennen. Vor den beiden kniete mit seinem Bogen und seinem Köcher ein kleiner, beflügelter Amor. Ein Pfeil schien sich gerade vom Bogen gelöst zu haben und bewegte sich auf das aus Pfingstrosenblättern geformte Herz der Braut zu. Für Amors Pfeil, auf seinem Flug mitten in das jungfräuliche Herz, hatte Rose Zweig eine wunderschöne, langstielige Baccara-Rose gewählt.