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Der Tanzfelsen

 

Es waren jene Tage, die uns im Grunde unverdient vorkamen und außerdem so völlig verschieden von unseren üblichen Tagen waren, dass wir das Gefühl hatten, etwas Unschickliches, ja beinahe sogar etwas Verbotenes zu tun und zu erleben. Von morgens bis abends lag über allem, trotz glasklarem Wetter, ein Schleier der Unwirklichkeit - ungewöhnlich und daher gewöhnungsbedürftig, aber schön.

 

Bei unseren zufälligen Begegnungen, beim Essen oder beim Shuffleboard am Pool, war uns das Paar sofort aufgefallen. Wir hatten uns gefragt, ob der Sohn seine alte Mutter noch einmal

mit in Urlaub genommen hatte, bevor ihr Abschied von dieser Welt beschlossene Sache werden sollte. Als andere Variante dachten wir uns eine reiche Witwe aus, die sich mit ihrem schlecht werdenden Geld noch einmal die Kraft und die Elastizität der Jugend gekauft hatte.

 

Abends setzten wir uns nach dem Abendessen oft an den Strand, an einer Stelle, von dem aus

wir, bei klarem Wetter, den Sonnenuntergang über der äußersten Spitze der Insel beobachten konnten. Das waren eigentlich die schönsten Augenblicke des Tages. Die rote Sonne färbte den Abendhimmel und die Farbe schien in das Meer zu fließen und machte es zu einem Sonnenmeer.

 

In das Meer hinein ragte ein hoch aufsteigender Felsen, von dessen glatter und  großer Oberfläche man einen wunderbaren Blick auf das Meer, den Strand und große Teile der Insel hatte.

 

An diesem Abend kamen wir allerdings ein bisschen später als sonst an den Strand. Von weitem sahen wir ein Paar, das mühsam den Felsen erklomm, um, wie wir dachten, einen besseren Blick zu haben. Als wir dann näher kamen, erkannten wir „unser“ Paar aus dem Hotel. Wir sahen es gerade in dem Augenblick, in dem der Mann die Frau bei der Hand nahm und sie mit einem energischen und, wie es schien, doch behutsamen Schwung neben sich auf die glatte Fläche des Felsens hob.

 

In diesem Augenblick wehte von einer nahe gelegenen Bar Musik herüber und vermischte sich mit der Brandung des Meeres, dem Kreischen der Möwen - und dem Lachen des Paares auf dem Felsen. Die Klänge und Geräusche verbanden sich wunderschön mit dem Paar. Aus der Ferne wirkte die Frau auf einmal viel jünger und ja, auch viel schöner. Wir hatten nicht gesehen, von wem der erste Schritt ausging, aber auf einmal begann das Paar nach der Meeresmusik zu tanzen. Erst langsam und vorsichtig, beinahe tastend, dann jedoch mit dem Rhythmus der Musik immer schneller und mutiger werdend. Mit einem Mal hob der Mann seine erblühte Partnerin in den Himmel und plötzlich meinte man, der Tanz habe sich verlangsamt, um jedermann die Gelegenheit zu geben, zu sehen, was sich jetzt ereignete. Der Kopf der in den Himmel gehobenen Frau zerschmolz in dem am Horizont stehenden roten Sonnenball, wurde zu einer Erscheinung, Licht durchdrungen, pulsierend und lebensbejahend.

 

In einer langsamen Bewegung setzte der Mann seine Frau wieder ab, so behutsam und leicht, als sei sie eine Feder. In diesem Augenblick erlosch die Musik und Mann und Frau blieben noch eine geraume Zeit eng aneinandergeschmiegt in dem langsam verblassenden Licht auf dem Felsen stehen.